Im Schatten der Lichtspiele

Es war ein Postkarten-Sonnenuntergang, einige wenige Wolken im kontrastierenden Gegenlicht, als seien sie nur Werbestrategen vor dieses große, rote Runde arrangiert, die eben nur vergessen hatten, den ebenso kontrastreichen Qualm der Industriekamine zu retouchieren. Sie können es also nicht gewesen sein. Dieser den Umständen entsprechend ganz klare Abend, selten zwischen ständigen Dunsttagen, war Wirklichkeit, wie sie selten sichtbar wird, die kaum jemand sehen mag oder auch nur sie zu sehen verlernt hat. Er wußte nicht so recht, ob es eine schicksalhafte Panne war, zwei Reifen auf einmal platt hatte er den Wagen nur noch mit Mühe vor dem Graben gerettet. Einsame Landstraße und er mit seinem unrasierten Gesicht, Drei-Tage-Bart, natürlich hatte niemand angehalten, als er radlos ratlos an der Straße stand. Schließlich gab er es auf, ging ein paar Schritte ins Feld und sah auf diese Stadt hinunter, die seine war, in der er wohnte und sich tagtäglich bewegte, die er zu kennen meinte und doch noch nie wirklich als Gesamtes gesehen und begriffen hatte.

Da saß er nun wie dereinst Walter auf einem Steine und beobachtete das beginnende Lichtspiel, und es schien ihm, als würde ein unsichtbar riesiger Schalter von hektischer Rastlosigkeit ‚hell‘ auf hektische Rastlosigkeit ‚dunkel‘ umgelegt. Auch wenn er das Lärmgemisch von Motoren, Musik und Schreien nicht hören konnte, war es doch gegenwärtig, er nahm es wahr, immer noch viel zu laut.

Unter normalen Umständen hätte er zu dieser Zeit bereits das vierte Bier in seiner Stammkneipe hinter sich gebracht, würde vor einem vorletzten fünften seine Fahrfähigkeit einschätzen und, da noch nie erwischt, es doch bestellen, letztlich das Zählen vergessen, um die Einsamkeit in Gemeinschaft zu erleben und sie nicht zu früh alleine zu Hause zu spüren.

Hier nun hatte er kein Bier und seine Zigaretten auch schon aufgeraucht und schwankte in seinen Gedanken zwischen Naturkühle und gewohnter Kneipenwärme, als versuche ihn Satan. Doch die Decke im Kofferraum, für alle Fälle immer dabei, vertrieb diese Gedanken. Herumliegendes Holz hatte er schnell gesammelt und mit der ungelesenen Tageszeitung in Brand gesetzt; Lagerfeuer, wie in der Jugend schon gespürt, kehrte plötzlich innere Wärme in ihn zurück, diese längst in Asche verloren geglaubte Glut, und er fühlte sich wohl. er begann Pläne zu schmieden, wie bisher wollte er nicht mehr leben, für den nächsten Tag schon nahm er sich vor und konnte den Gedanken nicht zu Ende führen, da irgendwo hinter ihm Lichter auftauchten, ach ja, das Auto, jemand hielt an, Warnblinkanlage, zwei schemenhafte Gestalten stiegen aus, gingen um seinen Wagen herum, kamen dann vorsichtig lauernd auf seine Feuerstelle zu, er stand auf, ‚Halt, Polizei‘, ihn blendete der Strahl einer starken Stablampe. Die entsicherten Waffen sah er erst, als sie ihn fragten, was er denn hier mache, ob er denn nicht wisse, daß ein offenes Feuer in unmittelbarer Waldnähe zu dieser Jahreszeit…und dieses ungesicherte Fahrzeug, ob das seines sei…zeigen Sie mal ihre Papiere…haben Sie getrunken, nein, sind sIe mit einem Alkoholtest einverstanden?…und immer Sicherheitsabstand und einer die Pistole in der Hand. Wer, wann, wieso schießt seinen Kopf auf dem Rücksitz des Streifenwagens zusammen, der ihn zurück in die Stadt bringt.

In neonblendender Wachhelligkeit hört er nur mehr unbestimmbare Wortfetzen, Bußgelder, Abschleppen, als wäre er der Mann im Mond streifen ihn geringschätzende Blicke, Finger tippen an Stirnen, selbstgefällige Maßregelungen, die er nicht wahrnimmt.

Irgendwie muß er dann nach Hause gekommen sein, Taxi oder so, am nächsten Morgen weiß er es nicht mehr, erinnert sich nur eines Traumes, eines riesigen Graffiti am Rathaus der Stadt, das er mit einer überdimensionalen Sprühdose gegen die Farbe werfenden Spritzen der mit immer mehr Löschwagen anrückenden Feuerwehr sprühte, Wort für Wort, das von Unmengen Farbe übertüncht wurde, sich Bunt in Schwarz mischte…